Die Orientierungslosigkeit des Jaguars ist dem Erzähler dieser Geschichte früh aufgefallen. Sie war subtil immer vorhanden, manchmal kam sie deutlich hervor, dann wenn der Jaguar vor Entscheidungen stand. Doch wenn er ihm Urwald umherstreifte war sie oftmals nicht zu erkennen. Der Erzähler dieser Geschichte schaut die ganze Zeit von oben herab, fast wie ein Vogel. Und falls er ein Vogel sein sollte, dann nur der König der Lüfte, ein Adler, was denn sonst. Die Geschichte des Jaguars hat kein Anfang, wie sie auch kein Ende hat. Es ist eine Geschichte, die sich entwickelt hat, entlang mit dem Entstehen des Jaguarbewusstseins.
Mexiko ist ein ziemlich grosses Land. So gross, dass es die verschiedensten Realitäten trägt. Es ist ein Land von tief sattem Grün, von stechend trockenem Rot und unglaublich strahlendem Blau. Doch selbst mit Farben kann der Erzähler dieser Geschichte das Land nicht beschreiben. Überhaupt ist es unmöglich ein Land zu beschreiben. Pacha Mama atmet und lebt, jeder Fleck hat seine eigene Einzigartigkeit. Das kann der Jaguar am besten rechtfertigen, schliesslich ist er durch alle Wälder und Täler schon geschlichen. Doch er tut es nicht, weil er nicht zurückschaut. Er beschäftigt sich nicht mit Vergangenheiten. So kennt der Erzähler die Vergangenheit des Jaguars besser als dieser selbst. Der Erzähler weiss, dass der Jaguar einst eine Schlange war. Auch jetzt noch trägt er das Schlangenbewusstsein in sich. Im Reich der Menschen kennt man dieses Bewusstsein als Unterbewusstsein. Es ist wie die Nacht; wie ein Traum, den man am nächsten Morgen vergessen hat.
Der Jaguar hält inne. Seine Muskeln unter dem Fell sind angespannt, er spürt wie sich die Schlange aus seinem tiefsten Inneren hervor zu winden versucht. Mit jedem Ausatmen steigt die Angst des Raubtiers. Ja, auch ein Jaguar kann Angst haben. Aber nur ein Jäger weiss sie zu verfolgen. Der Jaguar stösst sich mit einem Sprung vom Boden ab und fängt an zu rennen. Der Erzähler dieser Geschichte weiss, dass es für den Leser wie ein wegrennen zu sein scheint, doch der Jaguar rennt vor nichts weg. Wie auch, dann müsste er ja zurückschauen und das mach das Jagdtier nicht. Er rennt seiner Angst nach. Er jagt seinen Schatten.
In diesem Moment bemerkt der Erzähler, wie sich der Jaguar nicht mehr in Mexiko zu befinden scheint. Nein, es ist weder der Nebelwald in den Höhen von Sierra Norte, noch sonst irgendein Urwald von diesem Planeten. Das Schauspiel wurde völlig schwarz. Mit der Zeit erscheinen Sterne, doch Raum und Zeit haben Jaguar und Erzähler schon hinter sich gelassen. Der Jaguar kann die Sonne als pulsierende Kraft wahrnehmen, doch kein Lichtstrahl blendet ihn. Er sieht auch den Planeten Erde, weder unter noch über ihn, er spürt Pacha Mama vielmehr, als in ihm vereint. Und während seine Wahrnehmung auf das Universum gerichtet ist, sucht sein drittes Auge nach der ausgleichenden Kraft des Mondes.
Schliesslich ist es Luna, die ihn jede Nacht in seinem Erdendasein behütet hat. Der Erzähler merkt, wie sich innerlich alles vor Demut im Jaguar beugt als er Luna erblickt, doch seine Statur bleibt gerade. Und auf einmal überkommt den Jaguar eine süss-bitter schmeckende Orientierungslosigkeit, die die dem Erzähler schon früh aufgefallen ist. Fasziniert von dieser Wendung hält der Erzähler dieser Geschichte inne. Er atmet tief ein und alle Luft aus und in dem Moment, indem sich seine Lunge ohne Sauerstoff befindet und sie noch nicht zu neuem Lebenselixier ausgerufen hat, ist der Erzähler dieser Geschichte verschwunden. Zurück bleibt der Jaguar, in einer Schwärze unbekannter Definition, und es fällt ihm zum ersten Mal auf, dass er noch am rennen ist. Er wundert sich, weswegen ihn seine vier Pfoten immer noch tragen.
Um ihn herum entdeckt er feinen Sternenstaub und Lichtwesen, die sich ihm anzuschliessen scheinen. Der Jaguar fühlt sich in diesem Moment in allumfassender Sicherheit und merkt wie sich Wurzeln, voller Erde und Moos um seinen Körper winden. Er spürt wie sich sein irdischen Sein in das Sein einer Pflanzenseele verwandelt. Alles schwingt Rot. Das menschliche Auge, könnte es in entfernte Orte des Universums blicken, würde den Jaguar in der Farbe Rot aufgehen sehen. Und während dieses Rot an Intensität gewinnt, fängt der Jaguar zu brennen an. Dieses Feuer hat ein Kern, es verwandelt sich zu einer Kugel, zu einer Sonne unbeschreiblichen Ausmasses. Pure Kraft und Kreativität entspringt dieser Sonne, sie vibriert in gleichmässigen Wellen in die Ewigkeit. Auf den Wellen verwandelt sich das Rot zu einem tief satten Orange.
Je länger das Jaguarbewusstsein auf den Wellen gen Unendlichkeit surft, desto kühler wird es. Wasser fängt an, sich von allen Richtungen des Universums zu sammeln. Von Planeten und Meeren, Bächen und Wasserfällen steigt die Kühle und Ruhe des Wassers hinauf. Jeder Tropfen verbindet sich in der Schwärze zu etwas Ganzem. Und in dem Moment, wo sich die die Farbe Orange entscheidet zu Gelb zu werden, fällt das Wasser in unsagbaren Tiefen hinab. Auf dem Weg zum grundlosen Boden teilen sich die Wassertropfen in ihre Atome auf und es entsteht Luft. Doch das Jaguarbewusstsein erkennt die Luft nicht. Es atmet die Luft und ist deswegen nichts anders mehr als die Luft selbst. Das Sein, welches anfangs von einem Jaguar auf Planet Erde stammte, ist sich bewusst die Luft zu sein.
Doch diese Erkenntnis bewirkt mit einem Mal, dass die Luft nicht mehr nur aus Sauerstoff besteht, sondern auch mit Lebenskraft durchdrungen ist. Just in diesem Moment verwandelt sich das Jaguarbewusstsein in Ewigkeit. Die Luft wird zum Äther und die letzten Erinnerungen an das Leben des Jaguars sind verschwunden. Lebenskraft und Äther sind eins geworden. Bewusstsein umspannt die Schwärze, wie zuvor die Wurzeln den Jaguar. Alles vibriert Prana. Auf dieser Frequenz bilden sich im Schwingen selbst die grossen Flügel des Adlers. Es manifestiert sich das Adlerbewusstsein. Im Reich der Menschen kennt man dieses Bewusstsein als Überbewusstsein. Und der Adler, mit seinem klaren Blick und seinem scharf geschliffenen Geist, schwingt Richtung Mutter Erde.